„Overwhelmed and underinformed“? – 7 Thesen zur neuen Mediennutzung

Etwas sperrig formuliert, aber Kirsten Erlenbruch hat damit eine Erkenntnis der kleinen Untersuchung charmant überzeichnet:

„Wir sind also overwhelmed and underinformed.“

Das ist sicherlich nur ein kleiner Effekt der sich ändernden Mediennutzung, aber diese Erkenntnis schimmert durch einige Antworten auf meine vier Fragen an Euch:

  • Wie hat sich euer Mediennutzungsverhalten verändert?
  • Wie nehmt ihr klassische Medien inzwischen wahr?
  • Wie verändert sich der Anspruch gegenüber klassischen Medien?
  • Qualität der Informationen zu oder abgenommen?

Über zwanzig, sehr ausführliche Antworten kamen auf diese 4 Fragen, die ich euch im 213. Blick über den Tellerrand im Vorfeld des Public Future Lab beim Medientreffpunkt Leipzig gestellt hatte. Die Anworten wurden teilweise im Public Future Lab dokumentiert (anonymisiert).

Ich finde, die die Anwort von Mathias Schwieter bringt die Entwicklung sehr gut auf den Punkt:

„Hallo Alex,

mein Mediennutzungsverhalten hat sich in den letzten drei Jahren sehr verändert. Die Nutzung von Radio und Fernsehen geht gegen Null und Informationen erhalte ich über diese Kanäle nur zufällig. Die einzige Quelle für Nachrichten zum Tagesgeschehen ist das Internet. Für vertiefende Artikel und zur Meinungsbildung nutze ich Fachmagazine (Cicero, brand eins). Neuigkeiten zu persönlichen Interessen und Unterhaltsames beziehe ich aus Podcasts und Blogs.

Die klassischen Medien haben für mich praktisch keine Relevanz mehr. Daher habe ich auch keine Ansprüche.

Durch die Suche von für mich vertrauenswürdigen Informationsquellen sehe ich die Qualität meiner Informationen einigermaßen gesichert. Es wird  ständig von Qualitätsverfall berichtet, und ich meine das auch festzustellen. Da ich mich aber gerne auf Fakten stütze und es zu vielen Themen nun mal keine überprüfbaren Fakten gibt, ist die Beurteilung der Qualität schwierig. Auf jeden Fall habe ich gelernt, jede Information kritisch zu betrachten und diese Einstellung auch bei der Weitergabe von Neuigkeiten in Gesprächen deutlich zu machen; nach dem Motto „Ich habe gehört, dieses und jenes soll passiert sein..“.

Mathias‘ Feedback und die Antworten aus den weiteren Mails habe ich in 7 Kernthesen zur neuen Mediennutzung zusammengeschrieben:

  1. Seit zwei, drei Jahren entwickelte sich über die wachsende Medienkompetenz eine sehr selektive Mediennutzung mit zunehmend kritischen und skeptischen Medienkonsumenten.
  2. Das Internet wird zentrales Kommunikations- und Informationsmedium, und jede technische Neuerung in Richtung souveräner Mediennutzung wird als weiterer kleiner / großer Befreiungsschlag empfunden (IPTV, iPod, Flat-Rate etc).
  3. Fernsehen leidet subjektiv unter starker Boulevardisierung, sinkender Akzeptanz und Nutzung. Ursächlich dafür ist der beobachbare Qualitätsverfall der privaten Anstalten, der scheinbar negativ auf das komplette Medium abstrahlt. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten werden als Leitmedium emfpunden, die Privaten als SPAM und Werbeschleuder.
  4. Publikums- und Fach-Zeitschriften werden weiterhin sehr selektiv, dann aber intensiv genutzt. Als Werbemedium muss diese Gattung befürchten ihrem Nischendasein nicht gerecht zu werden, weil sie ihre Zielgruppe nicht mehr ausreichend definieren kann und der Nachweis der Werbewirkung fehlt.
  5. Zeitungsleser tendieren weg von der Tageszeitung hin zu Wochenendausgaben. Die Haptik bleibt wichtig, aber Informationen in Tageszeitungen werden bereits als „veraltet“ wahrgenommen. Aber fundiert recherchiert. Meistens. Es werden mehr Dossiers gefordert.
  6. Über online nehmen Nischenkanäle wie Audio- und Video-Podcasts einen festen Platz im modernen Medienkonsum ein, ersetzen allerdings nicht die klassischen Medien komplett. Über diese Kanäle werden persönliche und fachliche Interessen befriedigt. Interessant: Die Zahlungsbereitschaft für Online-Inhalte steigt, denn auch hier wird eine Boulevardisierung befürchtet.
  7. Klassische Medien scheinen „bemüht“ den Anschluss nicht zu verpassen, aber es gibt aufgrund durchgängig spürbarer Resignation nahezu keine Erwartungshaltung bzw. keinen Anspruch mehr. Und wenn, dann den Anspruch auf erstklassige und bombensichere Informationen, aber keinesfalls erzwungene Unterhaltung.

Die  Thesen kommen einem sicherlich vertraut vor. Ich finde es dennoch mehr als interessant dies über Eure ausführlichen Antworten nochmal fundiert mitnehmen zu können. Ich hoffe, das Input trifft bei dem Medientreffpunkt an entsprechender Stelle.

Vielen Dank an alle Teilnehmer.

Randbemerkung: BrandEins ist scheinbar DAS Pflichtmagazin!

6 Antworten

  1. Joachim sagt:

    „Die klassischen Medien haben für mich praktisch keine Relevanz mehr“ sagt Mathias Schwieter, und nach Deiner Aufassung spricht er damit stellvertretend für viele andere. Ich möchte nur daran erinnern, dass vieles von dem, was wir im Netz konsumieren, aus den Federn der Journalisten stammt, die für die klassichen Medien schreiben – also Zweitverwertung ist. Ich finde, wer sich im Web allein auf die originär fürs Web generierten Inhalte verlässt und sich nicht nur für Medien-, Computer,- Internet,- Web2.0-Themen interessiert, kommt an den Inhalten der klassischen Medien (Zeit online, SZ online, ARD/ZDF online) kaum vorbei. Und: Viele reine Online-Medien schreiben von denen ab. Denn wer – außer Spiegel.de – leistet sich wirklich ein ausgewachsenes Redaktionsteam, Korrespondenten und Presseagenturen?
    Also: Die klassichen Medien mögen keine Relevanz mehr haben insofern man nicht mehr ihre angestammten Kanäle und Vertriebswege nutzt. Durch die Hintertür betrachtet sind sie aber relevant wie eh und je.

  2. gerd sagt:

    hi alex, check mal diese seite bei amazon aus.

    das lustige ist, dass oral b ein handelsvertreter artiges video da hochgeladen hat, ohen sinn und verstand. dies bewirbt nicht das produkt sondern die verpackung. zwar kein brouhahaha aber sicher interessant. beste grusse und weiter so. hab kein kontaktformular gefunden und keine lust mich irgendwo 2.0 mässig einzuloggen also entschuldige den kommentarfunktionsmissbrauch.

    gruesse in den süden
    gerd

    ps. kannste nachher wieder löschen den kommentar!

    http://www.amazon.de/Braun-Oral-B-Professional-Aufs%C3%A4tze-Modell/dp/B0017VOR5K/ref=pd_sim_dr_6

  3. Alex sagt:

    Hallo Gerd,

    besten Dank für den Hinweis 😉

    Tja, da müssen Firmen doch noch einiges lernen, wollen sie Social Commerce richtig nutzen…

    Alex

  4. Tobias sagt:

    @Joachim: richtige und sehr wichtige Anmerkungen. Viele Online-Inhalte werden via Sekundärrecherche generiert. Aber: Das Voneinander-Abgucken ist kein Einbahnstraßen-Phänomen. Der umgekehrte Weg wird leider oft ebenfalls beschritten. Print-Journalisten suchen sich aus Zeitmangel im Web einige Infos zusammen und schustern daraus einen neuen Artikel etc. In Zeiten schwindender Werbe-Einnahmen und zunehmendem personallen Druck in den Redaktionen keine überraschende Entwicklung, aber sehr schade und gefährlich. (siehe journalist, Ausgabe 08/08, im Anschluss an das Titelthema „Die Welt ist eine Google“).

    Aktuelles Negativ-Beispiel dafür, dass beim Voneinander-Abgucken zwischen „klassischen“ und „neuen Medien“ keine Grenzen mehr zu ziehen sind: Patrick Swayze wurde am Di, 19.05. für eine Stunde lang tot erklärt und viele sprangen auf den Sensationszug auf, ohne die News zu prüfen (http://blog.tagesschau.de/?p=5425 und http://www.spiegel.de/panorama/leute/0,1518,625863,00.html).

    Abschließend noch die Anmerkung, dass die meisten viralen Kampagnen erst dann wirklich ein Erfolg werden, wenn sie von den „klassischen Medien“ aufgegriffen werden und somit eine große Verbreitung erfahren. Scheint da draußen also doch noch ein paar Millionen klassiche Mediennutzer zu geben …

  1. 10.05.2009

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